Da muss jemand den Kanal gewechselt haben, ich fühle mich in einem neuen Film: 1.500 Kilometer weiter nördlich, 3.950 Meter tiefer und nur etwa 500 km vom Äquator entfernt ist alles anders als bisher ….
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Iquitos, ca. 150.000 Menschen gross, kann nur per Schiff oder Flugzeug erreicht werden. Auf den ersten Blick sieht man dieser Stadt ihre Geschichte an: 1750 durch Jesuiten gegründet, in den 1870-1880ern durch Kautschuk zum Wohlstand gekommen, hielt dies für 30 Jahre an, in denen die Stadt stark gewachsen ist und entsprechende Jugendstilarchitektur gebaut wurde. Die Eingeborenen wurden dabei als Sklaven misshandelt. Dieser Wohlstand endete abrupt, als es dem Briten Henry Wickham gelang, heimlich Kautschuksamen nach Asien zu schmuggeln. In Malaysia wurden daraufhin Kautschukplantagen erreichtet, deren Ernte günstiger war und einfacher verlief. Iquitos war dadurch nahezu bankrott. So schnell kann es gehen …. Jeder Versuch, Anderes gewinnbringend anzubauen, wie Tabak oder Bananen, scheiterten. Erdöl und Tourismus sind jetzt Haupteinnahmequellen.
Diese Geschichte ist in der Stadt lesbar, zahlreiche Häuser stehen leer, sind in weniger gutem Zustand.
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Es ist übrigens natürlich so, dass ich immer mal gefragt werde, woher ich denn komme, darauf antworte ich mit „Deutschland, Köln“, manchmal wird dann beantworte „ah, Colonia“ oder fragend geguckt. Wenn ich dann mit „Cerca de Dortmund“ (Nahe zu Dortmund) antworte, wissen zumindest die Männer in der Regel, wo es ungefähr liegt. 😃 (Herzliche Grüsse an Dich, Karin!) Gestern startet daraufhin ein Gespräch über die peruanischen Fussballspieler, da konnte ich dann aber leider nicht mehr mithalten ….
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Und dann: über allem, wirklich allem hier in Iquitos schwebt die Wolke Kinski-Herzog. An zig Ecken gibt es kleine oder grosse Relikte von Fitzgeraldo, im Hotel zahlreiche Bilder, Teile von Schiffen und Namenszeichen, Restaurants heissen natürlich auch Fitzgeraldo (mit klimatisiertem Gastraum, was toll war.)
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Auf den Märkten (unten sind Fotos aus zweien) war auch eine deutlich andere Stimmung zu spüren als auf jenen in den Anden, also auf jenen, die deutlich mehr Tourismus haben. Dort oben (auf dem Weg zum Machu Pichu) war die Stimmung gegenüber Touristen und damit auch zu Kameras eher angespannt, oft wurde ich direkt nach Geld gefragt, hier am Amazonas werde ich sehr häufig gegrüsst, sehr nett und bei Fotos nicht direkt um Bezahlung gebeten. Ich habe das Gefühl, dass sich die Menschen freuen, jemanden zu treffen, der/ die normalerweise nicht hier ist. Ich fühle mich an meine ersten Marktaufnahmen in Syrien erinnert. (Herzliche Grüsse an dich, Heike!) Beim ersten Eindruck scheint das Arbeiten hier einfacher zu werden, hoffentlich.
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Die gesamte Atmosphäre in dieser Stadt ist deutlich anders zu dem, was ich bislang kennengelernt habe. Viel mehr Menschen sind draussen, halten sich dort auf, lungern einfach herum, im Strassenbild sind viel mehr Männer zu sehen. Aus zahlreichen Hauseingängen oder shops dröhnt Musik, es klingt nach kubanischer Musik, jedenfalls fühle ich mich an Kuba erinnert. Das Thema Musik ist überhaupt sehr interessant, welche Musik wird wo ausgewählt. Heute morgen beim Frühstück war es Boney M., was schwer erträglich war … allerdings kann ich zugeben, auch mit der Panflöten-Aufzugs-Musik Schwierigkeiten zu haben, am besten gefällt mir: keine.
Das andere Klima prägt meinen Körper, heute habe ich seit langem das erste Mal wieder Hunger gespürt, in den Anden hatte ich kaum Appetit, hier war es heute anders. Die Sehnsucht, es meinen Hotelnachbarn gleich zu tun, ist auch gross: sie standen gestern mit ihrem Handy und einen Bier im Hotelpool. Die Lust auf ein Bier oder den lang ersehnten Pisco sour ist hier da.
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Als ich Hunger bekam, aber keine Lust auf ein touristisches Restaurant wie gestern Abend hatte, sehnte ich mich nach nach einem einfachen, in denen die Einheimischen essen, oft gibt es ein Menü, dass aus Suppe und einem Segundo besteht. Da ich natürlich keins kannte, habe ich den Standbesitzer, bei dem ich gerade Limonen gekauft hatte, um einen Tip gebeten. Er pfifft einen Tuktuk-Fahrer zu sich, der direkt neben uns stand, er pfiff trotzdem, um ihm den Namen eines Restaurants zu nennen, zu dem er mich brachte. Etwas Sorge hatte ich, ob es sich denn auch um ein Restaurant handelt, in dem ich mit einem europäischen Magen essen kann, ich hatte Lust, mich darauf einzulassen. Angekommen wurde deutlich, dass es sich um ein wunderbar einfaches handelte, ich war die einzige Ausländerin, habe ein Menü bestellt, bei dem mindestens die Suppe besser war als jene, die ich gestern Abend gegessen habe. Wunderbar! Auf dem Weg zum Hotel, wieder mit dem Tuktuk, haben wir kurz halt gemacht an einem Café, bei dem ich Kaffee und Kuchen mitgenommen habe, um es in aller Ruhe in meinem klimatisierten Hotelzimmer zu geniessen. Kurz bevor ich gleich wieder in den Pool hüpfe. Alles sehr schön!
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Und zum Abschluss kurz zur Erinnerung: das alles bei ca. 38 Grad, es schwappt eine Hitzewelle über uns, die selbst von den Peruanern als ungewöhnlich und anstrengend empfunden wird, auch sie schwitzen.
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In den Bildern unten sind u.a. zu sehen:
ein Messerschleifer, der seinen Schleifstein händisch zum Drehen bringt,
zu trocknender Tabak, mitten im dichten Gewusel, links daneben wird handgedrehter Tabak verkauft.
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Liebe Anja, die Art und Weise, wie du über deine Reise erzählst, finde ich toll. Inzwischen sprichst du bestimmt fleißig Spanisch, oder? 😉
Probiere doch Mal meinen Lieblingsfisch aus Amazonien: Tucunaré. Ein Träumchen! Und ich hoffe sehr, dass du dich trauen wirst, tiefer in den Dschungel reinzugehen, mal eine Nachtwanderung zu machen, ein Dorf Mitte im Nirgendwo am Amazonas zu besuchen, und und und. Ich freue mich auf weitere Beiträge!
Ganz liebe Grüße,
Sylwia
danke, sylwia, ich werde ihn testen! bislang habe ich es noch nicht, ist das der schwarze fisch? den habe ich heute mehrfach auf dem markt gesehen.
sehr gern möchte ich durch den dschungel wandern, wenn die arbeit gut und schnell klappt, könnte es dazu kommen, wir werden sehen. danke für deine wünsche!
Man kommt da schon aus der Entfernung schon kaum mit, wie soll es dann Dir ergehen? Grosse Distanzen zu überwinden und dann auch noch der Wechsel in andere Klima-, Temperatur- und Höhenzonen, wie Du es beschreibst, ist auch heftig. Und wieder und wieder unendlich viele neue Eindrücke und das Einstellen auf erneutes Unbekanntes, mir würde da schwindelig werden. Das Schreiben abends nach all dem Aufgenommenen hilft sicher beim Verarbeiten und Verdauen. Und auch das Gefühl, dadurch das Erlebte teilen zu können, mit uns, die wir Dein gebanntes Publikum sind, tut Dir hoffentlich gut.
Dem Messerschleifer hast Du mal wieder ein besonders photogenes Lächeln entlockt, wie schon vorher bei Anderen. Es zieht einen regelrecht ins Bild! Und sind das da alles Hühner, aufgereiht auf einem Ladentisch bei 38°C und 85% Luftfeuchtigkeit auf dem letzten Bild? Ich rieche es förmlich. Du siehst, ich bin dabei. Schade, dass ich eben bei Deinem Anruf nicht abheben konnte.
ja, liebe heike, du hast ganz recht, auch mir wird es manchmal mit den zahlreichen eindrücken zu viel, dann ziehe ich mich in meine schönen hotelzimmer zurück. im fall von iquitos ist es hier auch schön kühl. und auch ja, das schreiben hilft zu verarbeiten, so kann ich reflektieren und (durch langsames schreiben) darüber nachdenken, wie die situationen auf mich wirken. und antworten darauf sind natürlich besonders schön, ich freue mich immer, deine und auch andere kommentare zu lesen!
liebste freundin, danke für dein „mitgehen“!
Moin Anja, schön, wieder so viel interessantes lesen zu dürfen von deiner Reise.
😉 Wenn du das nächste Mal sagst wo du herkommst, dann sag doch nach Deutschland anstatt Köln mal Bremen, das kennen bestimmt alle.😁 Liebe Grüße und weiterhin eine ganz erlebnisreiche Reise.
tatsächlich war es so, dass jener taxifahrer davon sprach, dass ein fußballer zunächst in dortmund und dann in bremen war, den verein und damit die stadt kannte er auch! 😁😂🤣 kann jemand der fussball-informierten helfen, welcher peruaner es war?
Claudio Miguel Pizarro Bosio, kurz Claudio Pizarro spielte bei den Bayern, dann tatsächlich länger in Bremen und sogar mal kurz beim FC Köln.
Liebe Grüße aus dem Rheinland, M.
Hallo Anja,
bin total beeindruckt von Deiner Reise und Deinen Blogeinträgen. Weiterhin alles Gute und vielen Dank für das „Dabeisein“.
Liebe Grüße
Angelika und Heinz